Emotionales Einkaufserlebnis im E-Commerce – Herausforderung und Chance zugleich

Michael Gau
| 09.07.2015

Welche Bedeutung hat eine emotionale Kundenansprache im E-Commerce?

Nach den rasanten Wachstumsraten der vergangenen Jahre ist eine Abschwächung der Wachstumsdynamik auch bei Amazon und Co. festzustellen. Nach der langen und profitablen Phase der überwiegenden Bedarfsdeckung wird es nun auch im E-Commerce zunehmend wichtiger, eine aktivere proaktive Verkaufsstrategie zu verfolgen. Dies betrifft vor allem erklärungsintensive und „die Sinne ansprechende“ Produkte wie bspw. die Mode bei Hallhuber und Esprit. Beim Verkauf von Technik wie bei Redcoon hingegen wird auf absehbare Zeit wohl auch eher der Preis aufgrund der sehr viel niedrigeren Kostenstrukturen im Versandhandel im Vordergrund stehen.

Im Bereich der Emotionalisierung kann der Onlinehandel das eine oder andere vom traditionellen stationären Handel lernen. Große Handelsketten wie Karstadt oder Kaufhof verstehen es seit Jahrzehnten meisterlich, ihre Kunden mit emotionaler und persönlicher Ansprache zum Kauf zu verführen. Hierzu zählen bspw. die individuelle persönliche Beratung und oder auch das direkte Erleben der Produkte. Sehr gut passt hierzu auch eine (Auto-)Verkäuferweisheit aus den U.S.A.: „get the customer to touch the iron!„. So werden in den Staaten erfolgreich General Motors und Ford verkauft! Wer Produkte direkt anfassen oder sogar testen kann, wird automatisch auch emotional besser und wirksamer angesprochen.

Der erste Schritt besteht aber zunächst darin, die eigene Marke zu definieren und auszuarbeiten, wofür Ihre Marke steht. Daraus lassen sich dann individuelle geeignete Instrumente und Maßnahmen zur Emotionalisierung Ihrer Marke ableiten. So einzigartig wie Ihre Marke sollte auch Ihr Konzept der emotionalen Käuferansprache sein.

In diesem Artikel möchte ich Ihnen gerne einige erste Ansätze vorstellen, wie Sie das Einkaufserlebnis für Ihre Kunden auch im E-Commerce ein Stück weit stärker emotionalisieren können.

Vorstellung Ihrer Produkte in Produktvideos durch echte Menschen

Schon Kroeber-Riel sagte sehr treffend „Bilder sind schnelle Schüsse ins Gehirn“. Bewegte Bilder sind in diesem Sinne sozusagen das „Maschinengewehr“. Nutzen Sie ansprechende Video-Vorstellungen, um Ihre Kunden multisensorisch anzusprechen und für Ihre Produkte sowie Ihre Marke zu begeistern.

Sicherlich steckt ein relativ großer Aufwand hinter jeder Art von Videoproduktion. Jedoch sollten Sie auch bei einem kleinen oder gar keinem Budget Ihre wichtigsten Produkte mit Videos vorstellen. Sie haben dabei die Auswahl im Spektrum zwischen automatisch und günstig erstellten nicht sehr emotional wirksamen Clips wie bei Redcoon bis hin zu aufwändig produzierten Inszenierungen wie den Designbesprechungen von Chefdesigner Jony Ive bei Apple.

Persönliche Beratung über Video-Chat

Gehen Sie in den Dialog!

Viele Kunden gehen alleine deshalb in einen stationären Laden, um sich persönlich beraten zu lassen. Ohne Weiteres fehlt im E-Commerce leider eine solche Dialogmöglichkeit. Ein Schritt in diese Richtung wäre die Einführung eines Live-Chats zu den üblichen Geschäftszeiten, wie bspw. bereits von Unitymedia Kabel BW in deren Onlineangebot umgesetzt.

Ein weiterer Schritt wäre ein Online-Videochat. Da beinahe alle heutzutage verkauften Geräte von Computern über Tablets bis hin zu Smartphones über Videochat-Technik verfügen, wären die technischen Anforderungen bei vielen potentiellen Kunden erfüllt. Ermöglichen Sie es Ihren Kunden, in den direkten persönlichen Kontakt mit Ihren Kundenservice zu treten. Dieser Kommunikationskanal kommt dem Beratungsgespräch im stationären Handel schon sehr nahe.

Da nicht jeder Shopbetreiber das Budget von Amazon oder Zalando besitzt und ein solches Konzept stemmen kann, ergeben sich hier übrigens Geschäftsfelder für weiterentwickelte Call Center Betreiber, das Call Center 2.0. Darüber hinaus ist hier eine besondere Schulung der Mitarbeiter notwendig, auch Themen wie „Corporate Clothing“ für ein einheitliches Erscheinungsbild gewinnen plötzlich an Bedeutung.

Individuelle zugeschnittene Angebote & Curated Shopping

Individualität ist Trumpf!

Je genauer Ihr Angebot auf die Bedürfnisse Ihrer potentiellen Kunden passt, desto eher werden sich diese auch persönlich angesprochen fühlen. Das Gefühl, in seinen Bedürfnissen verstanden zu werden, weckt dabei „nebenbei“ positive Emotionen. Die beflügeln dann wiederum die Kaufentscheidung zu Ihren Gunsten.

Jeder kennt die „Kunden kauften auch“ – Funktion von Amazon. Trotz aller Statistik und Korrelationsanalysen im Hintergrund kann diese Funktion jedoch nicht mehr sein als eine relativ genaue Form von „Schiffe versenken“. Mal passen die Empfehlungen, mal aber auch eben nicht. Fragen Sie Ihre Kunden stattdessen doch einfach direkt nach den konkreten Bedürfnissen und Wünschen!

Eine mögliche Form im E-Commerce ist ein Online-Berater. Über verschiedene Fragen zu den relevanten Kriterien der angebotenen Produkte werden die in Frage kommenden Produkte immer weiter eingegrenzt, am Ende steht die optimale individuelle Empfehlung für den Kunden. Ein Beispiel hierfür ist der Onlineberater mobile.frag-henry.com, der den Kunden nach Beantwortung einiger Fragen einen geeigneten Wein in der Nähe empfiehlt.
Wenn Sie bereit sind, etwas größere Ressourcen einzusetzen, können Sie Ihr E-Commerce Angebot auch durch eine tatsächliche Beratung von Mensch zu Mensch wesentlich bereichern. Ein Beispiel aus dem Modebereich wären modomoto.de und Outfittery. Die Kunden beantworten einige Fragen und laden Bilder von sich hoch, anschließend empfiehlt eine Stylingberaterin den perfekten individuellen Look. Hier bildet die persönliche Beratung den Kernbereich des erfolgreichen Geschäftsmodells.

Zwar sollte eine solche Beratung vor allem als Mehrwert wahrgenommen werden, zugleich müssen die Kunden doch einige private Daten preisgeben. Im Bereich der individuellen Beratung sollten daher ggf. auch Datenschutzthemen und –Befürchtungen mitbedacht und frühzeitig gelöst werden.

Storytelling als Konzept der Produktinszenierung

Hören Sie auf, Ihre Kunden mit stumpfen Produktlisten und Standard-Produktdetailseiten zu langweilen!

In den meisten Branchen kauft Ihr Kunde Ihr Produkt nicht um des Produktes willen, sondern für einen bestimmten Zweck. Betten Sie Ihr Produkt auch bei der Online-Präsentation in die entsprechende Welt ein.

Ein hervorragendes Beispiel hierfür liefert Apple. Nehmen wir mal die Vorstellung der Apple Watch unter http://www.apple.com/de/watch/. Es wird nicht bloß ein Produkt mit seinen Eigenschaften vorgestellt. Per Storytelling wird über mehrere Bildschirmseiten hinweg eine eigene Welt rund um das Produkt inszeniert, die auf die emotionale Wahrnehmung einzahlt.

Geschichten verkaufen! Achten Sie dabei bitte vor allem darauf, dass Ihre Story glaubwürdig ist und zum Kauf anregt. Zusätzlich besteht die Herausforderung darin, den Übergang zwischen Storytelling und Kaufprozess möglichst fließend zu gestalten. So grenzen Sie sich nicht nur vom stationären Handel, sondern auch von den unzähligen Onlineanbietern wie bspw. Lidl oder auch NKD mit deren überwiegender Preis-Argumentation ab.
Auch die Anbieter von Shopsoftware scheinen Storytelling vermehrt als Emotionalisierungsfaktor zu erkennen, so ist ein Storytellingmodul beim Anbieter Shopware in der neuesten Version bereits von Haus aus enthalten.

After Sales – Inszenierung der gelieferten Produkte

Begeistern Sie Ihre Kunden auch nach dem Kauf!

Nicht nur beim Kauf selber, sondern auch in der Zeit danach gewinnt Emotionalisierung stetig an Bedeutung. Denken Sie an das Potential von Weiterempfehlungen und zufriedenen Wiederkäufern. Darum lohnt es sich, Energie in die emotionale Kundenbindung nach dem Kauf zu investieren.
Ein hervorragendes Beispiel ist der Shop lieblingstasche.de – gekaufte Taschen werden liebevoll als Geschenk verpackt. So kauft sich die Kundin nicht nur ganz normal eine Tasche, sondern „beschenkt“ sich dabei selbst. Kann es ein schöneres emotionales Erlebnis geben? Und dieser Eindruck bleibt hängen und wird gerne weitererzählt. Vor allem, da sich große Anbieter wie Zalando, Zara, asos oder Mango sicherlich nicht diese Mühen machen werden.

Fazit

Auch im E-Commerce muss sich das Selbstverständnis von Verkauf im E-Commerce stetig weiterentwickeln. Es wird mittelfristig nicht mehr ausreichen, eine reine Bedürfnisbefriedigung zu betreiben. Diejenigen E-Commerce-Unternehmen werden sich dauerhaft durchsetzen, welche die Bedeutung und Umsetzung emotionaler Einkaufswelten verstehen und Ihre Angebote „menscheln lassen“.

Author

Michael Gau
Michael Gau ist Experte für Vertrieb, Marketing und E-Commerce. Seit 2005 war er in verschiedenen Positionen für den Außenwerbekonzern Ströer, ARD, ZDF und Mainstream Media AG tätig. Seit 2012 betreibt er ein eigenes E-Commerce-Unternehmen mit verschiedenen Vertriebskanälen im Bereich des Weinhandels. Nebenbei berät er Unternehmen verschiedener Branchen im Bereich Vertrieb, CRM und E-Commerce. Eine Tätigkeit als Dozent an der Rheinischen Fachhochschule im Studiengang Medienwirtschaft ergänzt das Kompetenzprofil.